Mädchen in der Badewanne

„Mädchen in der Badewanne“ (Liegende Dodo in der Badewanne)
um 1909
Aquarell, 49,5 x 60 cm

Ein glücklicher, vielleicht der glücklichste Moment im Leben von Ernst Ludwig Kirchner: Dodo, die stille, hingebungsvolle Geliebte seiner frühen Dresdner Tage, lächelt ihn an, umfängt ihn mit ihrem Charme, ihrer Hingabe, ihrer Liebe. Und er, der Künstler, zeichnet sie mit der Stahlfeder und dem unverwüstlichen Schwarz der Eisengallustinte, erfasst mit hellen Aquarellfarben, was er sieht – vor allem aber, was er fühlt, was er empfindet: Die Schönheit dieser Frau.

Ungewiss, wann er sie kennenlernte. Fritz Bleyl, der Mitbegründer der Künstlergemeinschaft ‚BRÜCKE‘, sprach davon, eine erste Begegnung habe es schon vor Oktober 1903 gegeben. Damals war Doris Armgart, die Tochter des Bahnhofrestaurantpächters von Dürröhrsdorf bei Dresden, Friedrich August Große, gerade 19 Jahre alt. „Ihrem Wesen nach sanft, zart und anschmiegsam, habe sie zugleich nicht ohne eine gewisse natürliche Raffinesse das stürmische, auffahrende Temperament des Künstlers zu fesseln vermocht.“

Eine gleichzeitig entstandene Kohle-Zeichnung: „Liegender Mädchenakt“ (1909, 34,5 x 44,5 cm, verso mit den Basler Nachlassstempel), nimmt Dodos Lächeln auf. Nur hier, in diesen beiden Blättern, ist sie anzutreffen: Die ins Gesicht geschriebene Verbundenheit zweier Menschen durch ein unendlich zärtliches Zeichen. Das gegenseitige, uneingeschränkte Vertrauen verdichtet seine Tiefe und Glut in wenigen grafischen Kürzeln, die alles andeuten und die Tür zum Ungesagten, zu dem, was Geheimnis bleiben soll und muss, weit öffnen. Kirchner nennt sie ‚Hieroglyphen‘, heilige Zeichen. „Ich habe […] in Momenten größten Rausches unbewußt gezeichnet […], ohne daß Ich es merkte.“ Kirchner schafft aus dem Inneren; aus der Fülle seiner Leidenschaft zu ihr: Expressionismus.

Die gegenseitige Vertrautheit fand keine Erfüllung. Kirchner verließ Ende 1911 das provinzielle Dresden, das ihm und seiner Kunst keine Zukunft bot. Wie auch Heckel und Pechstein suchte er die Anerkennung seiner schöpferischen Mission in Berlin. „Dodo“ blieb in Dresden zurück, ging nicht mit. So trennten sich Ihre Wege – zugleich ist sie aus seinem Leben nie gewichen. Später schrieb er: „Ich weiss, dass Du manchmal an mich denkst .“ Und fügte hinzu: „Führe mich [… ] mit Deiner Liebe und Geduld […] immer.“ Dodo: Ihre Spur verliert sich. Ende des Jahres 1935 ist sie zusammen mit ihrer Schwester als Inhaberin einer gemeinsamen Wohnung am Stephansplatz registriert. Sie trug noch ihren Mädchennamen, blieb also unverheiratet. 1938 ist sie letztmals in einem Adressbuch erwähnt.

Ein Rätsel bleibt ungelöst: Warum hat Ernst Ludwig Kirchner sie nicht gesucht, als er Ende 1925 erstmals wieder nach Dresden reiste? Warum hat er, der „Fränzi“ in er Kleinen Plauenschen Gasse 60 traf, nicht alles darangesetzt, auch „Dodo“ zu finden?